Kurs gegen den Staat: Wenn die Polizei nur uninteressante «Angebote» macht

Seit Corona sind Staatsverweigerer:innen im Aufwind. Ihre Inhalte teilen sie längst nicht mehr nur in einschlägigen Chats.

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Bei manchen Staatsverweigerer:innen ist die Haltung unübersehbar. Screenshot: Telegram

Sie benutzen Fantasiepässe und -fahrausweise, unterschreiben mit blutrotem Fingerabdruck, verbitten sich die Anrede «Herr» oder «Frau», sind «freie Menschen» statt «Personen»: Staatsverweigerer:innen.

Sie belagern Staatsangestellte und verwickeln sie in krude Diskussionen über ihre angebliche Nicht-Legitimierung. Videos davon teilen sie in Telegram-Kanälen, in denen sie sich gegenseitig anstacheln und radikalisieren.

Ihre Ideologie besteht im Kern daraus, dass die Schweiz als Staat nicht bestehe, sondern illegal privatisiert wurde. Die Schweiz sei stattdessen ein Konstrukt aus Firmen ohne jegliche Weisungsbefugnis gegenüber «freien Menschen», die sich beispielsweise durch Fantasiedokumente, sogenannte «Lebenderklärungen», von der juristischen «Person» loslösen – was sich durch eigenwillige Schreibweisen des eigenen Namens manifestiert – und somit nicht den Schweizer Gesetzen unterstehen würden. Der Verschwörungsmythos des «Deep States» lässt sich in diese Logik sehr gut einweben, wie FLIMMER.MEDIA hier ausführlich geschildert hat.

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Systemsturz als Ziel

Über Mitarbeitende von Betreibungsämtern, Polizei oder KESB (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) führen Staatsverweigerer:innen Listen, die sie im Netz veröffentlichen. Diese Listen dienen der Markierung von vermeintlichen Gegner:innen. Die Folge: Belästigungen, selbst erstellte «Haftbefehle», Anzeigen, Betreibungen und Drohungen, auch an die private Wohnadresse der Staatsangestellten.

Manche Staatsverweigerer:innen formulieren die Absicht dahinter in einschlägigen Telegram-Kanälen ganz offen: Das System so sehr beschäftigen, bis es zusammenbricht.

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Szene merklich vergrössert. Schätzungen gingen 2023 von etwa 10’000 Szeneangehörigen aus, inzwischen dürften es nochmal mehr geworden sein. Häufig sind es Betreibungsämter, die in den Fokus der Staatsverweigerer:innen geraten. Die «freien Menschen» verweigern die Annahme von Post oder schicken sie mit Vermerken wie «Falsche Person, darf nicht geöffnet werden auf Grund StGB Artikel 179» und «Kein Vertrag» an das Betreibungsamt zurück.

In ihrer Logik würde eben nicht der «freie Mensch» angeschrieben, sondern nur die «Person», die man ja schliesslich nicht mehr sei. Diese Argumentation packen die Betroffenen aus, wenn sie ihre Überzeugungen in Form von nicht bezahlten Rechnungen – meistens Steuern, Serafe- oder Krankenkassenbeiträge – juristisch eskalieren. Zum Beispiel, indem sie vor Gericht Beschwerde gegen Verfügungen des Betreibungsamts erheben.

Vorlagen für querulatorische Beschwerden

Bei einer Pfändungsankündigung sieht dass etwa so aus:

«Ich sei von allen beteiligten Gerichten und Behörden und der Gläubigerin ab sofort mit dem korrekten amtlichen Namen Müller, Annelise (Name geändert) anzuschreiben, wobei das Komma alternativ durch eine Zeilenschaltung ersetzt werden kann.

Diese erwähnte Pfändungsankündigung sei als nichtig bzw. ungültig zu erklären; die Betreibung sei aufzuheben.

Es sei festzustellen, dass das Betreibungsamt Winterthur-Stadt aufgrund von Organisationsmängeln keine rechtswirksamen Handlungen mehr vornehmen darf.

Alle Kosten seien von vornherein auf die Staatskasse zu nehmen.»

Gleich mehrfach mussten sich Zürcher Gerichte mit Beschwerden beschäftigen, die exakt diesen Wortlaut beinhalteten, zeigen Recherchen von 
FLIMMER.MEDIA. Kein Wunder: Vorlagen für solche Beschwerden werden in einschlägigen Telegram-Kanälen verbreitet. Darüber, dass die Beschwerden abgeschmettert werden, liest man hingegen kaum etwas.

Kurs von Szenegrösse

Manchen reicht es aber nicht, den Nichtwissens-Transfer über den Nicht-Staat via Telegram abzuwickeln. Regelmässig finden Referate und Schulungen statt. Beispielsweise am 11. Januar in Rothenthurm (SZ), am 22. Februar in Aeschi bei Spiez (BE).

Daniel Halter – pardon :daniel, schliesslich spricht ja nicht die «Person», sondern der «freie Mensch» – sowie ein weiterer Staatsverweigerer, hielten einen Vortrag unter dem Titel «Der Blick hinter die Maske». Seit 2022 finden solche Vorträge der beiden statt. Halter betreibt einen der einflussreichsten Staatsverweigerungskanäle der Schweiz. Gemäss Angaben des Thurgauer Konkursamtes läuft seit November 2024 ein Privatkonkursverfahren gegen Halter, sein Transportunternehmen ist in Liquidation.

So präsentierte Halter sein Grundstück im Jahr 2022.
So stellt zeigt Halter auf Telegram sein Zuhause. Screenshot: Telegram (Bild: Telegram)

2022 verbreitete er Bilder seines Grundstücks, gemäss denen er für die Polizei einen separaten Parkplatz auf seinem Grundstück markiert hat. Es handle sich ausserdem um einen von der internationalen Staatsverweigerungsorganisation «Trivium United» «geschützten Bereich». Aufkleber von «Trivium United» schmücken demnach auch die Fahrzeuge von Halter und seinem Unternehmen.

Der Flyer zum Anlass in Aeschi bei Spiez versprach Erkenntnisse zum Umgang mit Behörden, Gesetzen und Polizei und eine «Wegleitung zur Souveränität». Und: «Es ist uninteressant, welcher Clown den Anführer einer Nation spielt. Entscheidend ist, wie viele Narren dieses Spiel mitspielen», hiess es auf dem Flyer.

Brief der Polizei nur ein uninteressantes Angebot

In welche Richtung die erwähnten Erkenntnisse gehen, zeigen Videos solcher Vorträge. Halter schildert etwa eine Begegnung mit der Polizei, bei der er die Polizisten mehrfach auffordert, einen sogenannten Amtsausweis zu zeigen, ohne den er ja nicht wisse, mit wem er es wirklich zu tun habe. Gemäss seiner Darstellung kommt er mit seiner Taktik durch, er habe auch seither, das sei zwei Monate her, nichts von der Polizei gehört.

Und selbst wenn, der Brief der Kantonspolizei Zürich sei dann sicher «falsch adressiert» (also nicht gemäss der Staatsverweigerungslogik), allein schon deswegen würde er ihn nicht annehmen. Und selbst wenn, er müsste dann der Polizei bekannt geben, dass ihm kein Amtsausweis gezeigt worden sei und somit nie eine Kontrolle stattgefunden habe. «Was in diesem Brief steht, schaue ich als Angebot an, das mich aber grundsätzlich nicht interessiert, weil es von der Polizei kommt», sagt Halter an diesem Vortrag aus dem Jahr 2022.

Die Veranstaltung im Februar 2025 fand auf Einladung des lokalen Ablegers der Post-Corona-Bewegung  «Urig» statt. Auf eine Anfrage von 
FLIMMER.MEDIA reagierte «Urig Frutigland» nicht. Ebenso Daniel Halter, trotz «korrekter» Anrede nach Staatsverweigerungslogik.

Belastung für Behörden

Für Behörden – insbesondere in ländlichen Gebieten –  sind Staatsverweigerer:innen eine spürbare Belastung. In zahlreichen Organisationen wurden in den vergangenen Jahren Schulungen zum Umgang mit Staatsverweigerer:innen durchgeführt. Sicherheitsmechanismen wie Alarm-Knöpfe wurden bei betroffenen Ämtern eingeführt. Polizeieinsätze diesbezüglich häufen sich. Welche Folgen das Verhalten der radikalisierten Querulant:innen effektiv hat oder welche Kosten dadurch verursacht werden, wird nicht systematisch erfasst.

Es hat gedauert, aber die Politik scheint einen gewissen Handlungsbedarf in der Angelegenheit erkannt zu haben. Im Sommer 2024 wurde beschlossen, eine nationale Untersuchung zum Phänomen Staatsverweigerer:innen zu veranlassen. Die Kantonspolizei Zürich hat beim Nachrichtendienst des Bundes beantragt, das Gewaltpotenzial der Szene und damit verbunden eine mögliche Beobachtung zu prüfen.

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heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.

ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Die diplomierte Journalistin (MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation, Luzern) und beschäftigt sich seit Jahren mit extremistischen Tendenzen und Milieus. Sie wurde 2022 als eine der besten 30 Schweizer Journalist:innen unter 30 ausgezeichnet. Im selben Jahr stand sie auf der Shortlist für die Auszeichnung «Newcomerin des Jahres». 2023 erreichte sie die Shortlist-Nomination als «Gesellschaftsjournalistin des Jahres». Vor FLIMMER.MEDIA arbeitete sie bei verschiedenen Publikationen in Basel.

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