Schweizer Lehrer leitet Ferienlager auf Schloss der Anastasia-Bewegung

Pädagogik und Erziehung können Einfallstore für Extremismus sein. Besonders deutlich zeigt sich das bei der völkischen Anastasia-Bewegung.

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Das Schloss Ober-Neundorf wurde in den vergangenen Jahren auch mit öffentlichen Geldern saniert. Archiv: Youtube

Auf dem Schloss Ober-Neundorf bei Görlitz findet diese Woche eine Bildungs-Freizeit statt. Kinder und Jugendliche zwischen 9 und 17 Jahren erwarte für 350 Euro in dieser Woche «humanistische Bildung» und «bewegende Ferienerlebnisse», heisst es auf dem Flyer. Denn Fakten und Wissen seien in der heutigen Zeit im Überfluss vorhanden, was fehle, sei das «sinnliche Erleben der Lerninhalte». Kinder dürfen hier «Körper, Seele und Geist verbinden».

Das Schloss Ober-Neundorf dient der völkischen Anastasia-Bewegung, die vom Verfassungsschutz 2023 als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde, als Bildungs- und Veranstaltungsort. Die Anastasia-Anhängerin Wlada Ruggle, die in der Schweiz lebt, ist beispielsweise regelmässig Gast auf dem Schloss für russische Folklore-Veranstaltungen oder Workshops, zuletzt am Abend bevor die Bildungs-Freizeit «Sommerwoche Schule am Schloss» vom 13. bis 19. Juli begann. Auf Anfrage von FLIMMER.MEDIA wurde seitens Schloss darauf verwiesen, dass man politisch und religiös neutral sei.

Die Anastasia-Bewegung hat ihren Ursprung in Russland und richtet sich nach einer Romanreihe, deren Hauptprotagonistin Anastasia, ausgestattet mit übermenschlichen Fähigkeiten, verbunden mit der Natur in der russischen Taiga lebt. Die Anastasia-Bücher enthalten antisemitische und rassistische Elemente und zeichnen ein antidemokratisches, verschwörungsideologisches, wissenschafts- und fortschrittsfeindliches Weltbild. Die Bücher propagieren den Rückzug von der angeblich verkommenen Gesellschaft ins Reaktionäre, auf die eigene Selbstversorgungs-Scholle, die «Familienlandsitz» heisst. In den Büchern kommt auch eine Schule vor, die als die ideale Schule dargestellt wird: die Tekos-Schule, an der die Schetinin-Pädagogik angewandt wird.

Die Schule entstand im Dunstkreis der Anastasia-Bewegung und nur wegen der Anastasia-Bewegung ist die Tekos-Schule und deren Pädagogik überhaupt ein Thema im deutschsprachigen Raum. Begriffe und Konzepte wie «natürliches Lernen», «Lernbegleiter:innen» oder dass «Leben und lernen eins sind», sind typische Elemente dieser Anastasia-Alternativpädagogik, die davon ausgeht, dass alles Wissen, das Kinder brauchen, schon in ihnen ist. Die Kinder haben demnach ein kosmisches Urwissen, an das sie sich erinnern können und so innert kürzester Zeit unglaubliche Lernerfolge erzielen.

Verschwörungserzählungen und ein besonderer Schulbesuch

Zurück zur «Sommerwoche Schule am Schloss». Hier steht Kalligrafie, Dichtkunst, Mathematik, Handwerk oder Theater in «einer starken Gemeinschaft» auf dem Programm. Und: Sport nach olympischem Vorbild, denn das antike Griechenland dient als Motto. Explizit wolle man sich auch mit der griechischen Demokratie auseinandersetzen.

Ferdinand P. ist Co-Leiter der «Sommerwoche». Er ist Verfechter der Schetinin-Pädagogik. Vor einigen Jahren verbrachte der Lehrer zwei Wochen an der Tekos-Schule, um sich mit dem Konzept auseinanderzusetzen. Seine Erfahrungen teilte er auf einem Esoterik-Blog und seinem Youtube-Kanal. Auf einer Playlist des Kanals findet sich ein Video mit dem Titel «Die Urknall-Lüge». P. selbst hat einen Vortrag hochgeladen, in dem er behauptet, die «jüdische Erlösungsgeschichte» sei die Folge einer Massenhypnose und 9/11 sei ein Trauma, das durch Massenhypnose verankert worden sei.

Es scheint aber, als sei das Interesse für die Schetinin-Pädagogik grösser gewesen, als für die Massenhypnose. P. versuchte, die Schetinin-Pädagogik unter die Leute zu bringen. Auf seiner Website bewarb er Ausbildungen, die vom LAIS-Institut Österreich entwickelt wurden. LAIS ist je nach Auslegung ein Tarnname für die Schetinin-Pädagogik oder eine leicht abgewandelte Version davon. P. äusserte sich auf Anfrage nicht dazu. Die Bildungs-Freizeit für Jugendliche verfolge keine politische, ideologische oder extremistische Agenda. Es bestehe keinerlei Nähe zu politischen oder weltanschaulichen Strömungen, die mit Extremismus oder Diskriminierung zu tun hätten, erklärt P.

Heute arbeitet P. als Lehrer an der International School Basel, einer Privatschule in der Schweiz. Bradley Roberts, Schulleiter der International School Basel betont auf Anfrage, dass die Schule die geäusserten Vorwürfe gegen ihren Mitarbeitenden ernst nehme. «Unsere Schule verpflichtet sich zu den Werten von Weltoffenheit, Inklusivität und gegenseitigem Respekt. Von unseren Mitarbeitenden erwarten wir, dass sie diese Werte im Schulalltag aktiv vorleben und fördern», so Roberts.

Der Unterricht basiere auf «faktenbasierten, qualitativ hochwertigen Materialien und folgt zeitgemässen, allgemein anerkannten pädagogischen Standards. Ziel ist es, vielfältige Perspektiven zu berücksichtigen und ein empathisches, interkulturelles Verständnis zu fördern.»

Experte: Antidemokratische Parallelwelten

Matthias Pöhlmann ist Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er betont die Gefährlichkeit der Anastasia-Bewegung und Schetinin-Pädagogik: «Diese Rückbesinnung auf das vermeintlich Natürliche ist bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig. Dasselbe gilt für Kritik am staatlichen Schulsystem.» Diese Anschlussfähigkeit diene oft als Einstieg zum Ausstieg aus dem demokratischen System, so Pöhlmann. Weil es eben nicht bei diesen Themen bleibe, sondern für alle Lebensbereiche Alternativen zum Staat präsentiert würden. Pöhlmann spricht von antidemokratischen Parallelwelten, die gezielt aufgebaut werden.

P. leitet die «Sommerwoche» auf dem Anastasia-Schloss gemeinsam mit der Anthroposophin und Waldorflehrerin Elisa L. von der Freien Waldorfschule Görlitz. Die beiden schreiben über sich «Wir verfügen über viel Erfahrung in schulischer und ausserschulischer Bildung und arbeiten mit Leidenschaft an der Entwicklung ganzheitlicher Bildung auf allen Ebenen.» L. exponierte sich während der Corona-Pandemie als Gegnerin der Schutzmassnahmen. Die Freie Waldorfschule Görlitz reagierte nicht auf eine Anfrage dazu.

Das Zusammenkommen von Anthroposophie und Anastasia-Bewegung ist nicht per se überraschend. Die beiden Bewegungen verbindet gemeinsame Werte, etwa die Esoterik, die Nähe zu Russland, ihre Naturverbundenheit, einen Hang zum Verschwörungsideologischen, die Betonung des Ganzheitlichen, eine kritische Haltung gegenüber Demokratie und Wissenschaft oder eine eigene Pädagogik.

Zwischen Familienlandsitz und Goetheanum

Ein Beispiel für die Vermischung beider Welten liefert Sabine Mänken. Die Anthroposophin ist Begründerin der rechtsesoterischen Bewegung Mütter der neuen Zeit sowie Herausgeberin zweier gleichnamiger Bücher. Im einen geht es um «Erfahrungen von Müttern, die ohne Krippe und Kita betreuen», im anderen um «Erfahrungen von Müttern, die ihre Vorstellungen von Lernen und Schule hinterfragen und neue Wege suchen».

Wie extrem diese «neuen Wege» aussehen können, zeigt sich am Beispiel von Ricardo Leppe, der einen Beitrag für das zweite Buch geschrieben hat. Leppe ist Bildungsguru ohne pädagogischen Abschluss, dafür mit Fundamentalkritik am staatlichen Schulsystem. Dieses sei darauf ausgelegt, Menschen klein und dumm zu halten. So könne das System die Menschen besser kontrollieren. Leppe ist Anhänger der gefährlichen Pseudomedizin Neue Germanische Medizin und wird der Anastasia-Bewegung zugerechnet. Mänken selbst trat bei Online-Kongressen auf, bei denen es Bezüge zur Anastasia-Bewegung gab, bei einem davon ging es explizit auch um die Gründung von Familienlandsitzen.

Die Mütter der neuen Zeit sind «erwacht», propagieren ein «natürliches, kindgerechtes» Leben. Im dazugehörigen Telegram-Kanal prangern sie die «Genderideologie» – insbesondere in Bildungseinrichtungen – an, die Kinder «frühsexualisieren» würde. Ausserdem findet sich Verschwörungsgeraune und eine mal mehr, mal weniger subtile Ablehnung des Staates zwischen Backrezepten, Einladungen zu «Mamaherzräumen», Jubelbeiträgen über Hausgeburten, Werbung für das «Üben der Seelensprache» oder Inhalte von Ricardo Leppe.

Sabine Mänken betonte gegenüber FLIMMER.MEDIA, Telegram-Inhalte von anderen Nutzer:innen, die die Mütter der neuen Zeit weiterleiten, seien nicht gleichzusetzen mit der Haltung der Mütter der neuen Zeit. Und: «Meine Arbeit und die Mütter der neuen Zeit stehen für ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Frauenbild, das traditionelle und moderne Rollenbilder in Frage stellt und sich stattdessen Werten verpflichtet fühlt, die Freiheit und Authentizität im Sinne einer verantwortungsvollen Biographie in den Vordergrund stellen. Eine selbstbestimmte Mutterschaft ist ein biographisches Anliegen.» Darüber hinaus verzichtete sie darauf, sich öffentlich zu äussern. 

In der anthroposophischen Szene ist Mänken eine geschätzte Referentin und Autorin. Am «Familienfestival» zum Thema «Spiritualität in der Erziehung» im anthroposophischen Zentrum Goetheanum in Dornach nahe Basel, wird Mänken Anfang August als Rednerin auftreten. Sie referierte bereits bei der letztjährigen Ausgabe des Anlasses. Die zuständige Stelle am Goetheanum reagierte nicht auf eine Anfrage dazu.

Dieser Text wird auch auf Endstation-Rechts.de publiziert.

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ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Die diplomierte Journalistin (MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation, Luzern) beschäftigt sich seit Jahren mit extremistischen Tendenzen und Milieus. Sie wurde 2022 als eine der besten 30 Schweizer Journalist:innen unter 30 ausgezeichnet. Im selben Jahr stand sie auf der Shortlist für die Auszeichnung «Newcomerin des Jahres». 2023 erreichte sie die Shortlist-Nomination als «Gesellschaftsjournalistin des Jahres». Vor FLIMMER.MEDIA arbeitete sie bei verschiedenen Publikationen in Basel.

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