Trans-Hass, Antisemitismus, Fake News und Neonazi-Verharmlosung
SRF publiziert eine Reportage über die rechtsextreme «Junge Tat» und lässt sich instrumentalisieren.
«Die ‹Junge Tat› – Zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit», heisst der Beitrag des SRF-Formats «rec.». «Extremismusforschende sagen, sie seien rechtsextrem, sie selbst sagen, sie seien rechte Aktivisten. Und ich gehe jetzt mit ihnen wandern», erklärt Reporter Samuel Konrad zu Beginn des Beitrags. Und eigentlich ist das eine passende Zusammenfassung der Sendung, bei der zentrale Einordnungen fehlen. Eine (nicht abschliessende) Kritik.
〰️Antisemitismus wird ignoriert
Mehrfach wird im Beitrag durch die Rechtsextremen die zutiefst antisemitische Verschwörungserzählung des angeblichen Bevölkerungsaustauschs ausgeführt – explizit und implizit. Wie dieser Bevölkerungsaustausch angeblich aussehe, wird durch SRF erklärt: dass weisse europäische Menschen durch Migrant:innen ersetzt würden. Dass es eine Verschwörungserzählung ist, wird nicht erwähnt. Und damit logischerweise erst recht nicht deren antisemitischer Hintergrund. Der Begriff «Antisemitismus» kommt in der Dokumentation nur vor, als erklärt wird, dass der Nachrichtendienst des Bundes die Junge Tat beobachtet. Warum die Gruppe unter Beobachtung steht, wird nicht erklärt.
〰️Verbreitung von Queer–Hass
Ebenfalls mehrfach gibt SRF diskriminierende Aussagen von Mitgliedern der «Jungen Tat» wieder, ohne sie einzuordnen. Etwa: «Man sollte sich nicht jeden Morgen überlegen können, ob man jetzt ein Einhorn oder ein Schäflein ist, sondern dass es einfach Mann und Frau gibt».
Gesagt wird auch: «Genderdysphorie (sich nicht mit dem Geschlecht zu identifizieren, dass einem bei der Geburt zugewiesen wurde, Anm. d. Redaktion) ist eine psychische Störung, das ist ein Fakt.» Ein tatsächlicher Fakt ist: Die Weltgesundheitsorganisation hat 2022 die pathologisierende Einstufung als psychische Störung aus ihrer Internationalen Klassifikation der Krankheiten gestrichen. Das gilt auch für die Schweiz, die die Revision aber noch nicht umgesetzt hat.
SRF lässt diese Kontextualisierung weg – und unterstützt stattdessen die Stigmatisierung von trans Menschen.
Als gesagt wird, Genderdysphorie sei vergleichbar mit einer krummen Nase, wird auch diese Bagatellisierung nicht kontextualisiert.
〰️Fake News
Der Reporter will von Selina Dienemann, Frontfrau der Jungen Tat, wissen, warum sie sich gegen queere Menschen stelle. Dienemann sagt, das tue sie nicht. Die Junge Tat wolle nur nicht, dass man Kindern und Jugendlichen Queerness aufzwinge. Sie selbst betreffe das insofern, weil sie nicht wolle, dass ihr Kind später im Kindergarten in «Körpererkundungsräume gesteckt werde», die jetzt ja aufkämen. Der «rec.»–Beitrag lässt das unkommentiert stehen. Zwei Sachen drängen sich dazu aber auf.
Erstens, ein Faktencheck: Es gibt keine «Körpererkundungsräume», und es sind auch keine geplant. Der Begriff schwappte 2023 aus Deutschland in die Schweiz über, als Medienberichte über angeblich geplante «Körpererkundungsräume» thematisiert wurden. Gemäss der falschen Darstellung ginge es um Zimmer, die eigens für «Doktorspiele» eingerichtet werden sollten. Ein Missverständnis, stellte die Kita-Betreiberin später richtig.
Zweitens, der Kontext: Dienemann sagt das Wort nicht, aber eigentlich geht es ihr um die angebliche Frühsexualisierung in Kindergärten und Schulen. Damit ist gemeint: Kinder und Jugendliche würden durch die Beschäftigung mit Sexualität, sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Schulunterricht überfordert. Sie würden dadurch in ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität verunsichert und sogar «homosexuell gemacht».
In rechtsextremen Kreisen wird Queerness oft als regelrecht ansteckend dargestellt und mit angeblichen Übergriffen auf die Kinder in Verbindung gebracht. Rechtskonservative bis rechtsradikale Kreise erachten das als eine Bedrohung der «natürlichen Ordnung» und dem «Erhalt der eigenen Rasse».
Wie gefährlich diese Überzeugungen sind, zeigt sich beispielsweise durch gezielte Gewalteskalationen, bei denen Neonazis und deren Sympathistant:innen queere Menschen jagen und misshandeln.
Und: mit diesen Überzeugungen schliesst sich der Kreis zur grossen antisemitischen Verschwörungserzählung, dem Bevölkerungsaustausch. Bei der «Jungen Tat» zeigt sich das beispielsweise in ihrem Telegram-Kanal, in dem es auch um «Globohomo» geht, eine angeblich einflussreiche queere Agenda mit dem typisch antisemitischen Dogwhistle auf «Globalist:innen».
〰️Wer ist hier politisch naiv?
Im SRF-Beitrag wird das Logo der Jungen Tat diskutiert. Es sei die Tyr–Rune, stellt der Reporter fest, ein Symbol aus dem Nationalsozialismus. Die «Junge Tat» kontert wie zu erwarten, dass nur weil zwölf Jahre lang das Symbol «falsch verwendet worden sei», man sich das nicht nehmen lasse. Manuel Corchia ist Mitgründer der «Jungen Tat». Seine frühere Organisation «Eisenjugend» fiel durch Verherrlichung des Nationalsozialismus und Propagandavideos mit Sturmgewehren auf. Er habe das Logo der «Jungen Tat» ausgewählt, sagt er, und dessen Hintergrund nicht gekannt. Keine weitere kritische Einordnung oder Nachfrage - SRF macht ein Häkchen hinter die Sache.
Dass die Erklärung unglaubwürdig ist, mag für viele offensichtlich sein. Es sagt aber in der Dokumentation niemand. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass das Logo stark an das der rechtsterroristischen «Nordic Resistance» erinnert.
〰️Die wollen nur spielen
Die «Junge Tat» wandert nicht nur, wie es im Video ausführlich zu sehen ist, sondern sie bietet auch kostenlose Boxtrainings an. Warum die Gruppierung mit Rassenkriegsfantasie–Hintergrund Kampfsport betreibt? Auch das bleibt im Beitrag unbeantwortet. Ebenso fehlt die Einordnung, dass Kampfsporttraining Rechtsextremen als Agitationsmittel und Vorbereitung zu gewalttätigen und koordinierten Auseinandersetzungen mit politischen Gegner:innen oder für Hate Crimes dient. Diese Informationen wären einfach zu finden gewesen: SRF selbst publizierte im Januar 2025 einen Beitrag zum Thema.
Erwähnt wird im «rec.»-Beitrag die Teilnahme eines Mitglieds der «Jungen Tat» an einer «internen Fight Night» der «Identitären Bewegung», dem Vorbild der «Jungen Tat». Angeboten hätte sich hier eine Kontextualisierung der internationalen Neonaziboxszene, zu der die «Junge Tat» Verbindungen hat.
〰️Die Extremist:innen als Opfer
Der Reporter möchte von den beiden Anführern der «Jungen Tat» wissen, wie das so sei mit dem «entbehrungsreichen Leben», das sie führen, weil auch für sie das Gesetz gelte und es zu Angriffen von Linksextremen gekommen sei. Dass er damit proaktiv genau die inszenierte Opferrolle der Rechtsextremen bedient, vor der der als Experte befragte Strafrechtsprofessor später warnen wird – nevermind. Gewalt durch die «Junge Tat» ist kein Thema, das der Beitrag anspricht.
Es sei das «geilste Leben» sich für die Ziele der “Jungen Tat” einzusetzen, sagt Tobias Lingg. Die Möglichkeit für SRF, hier einzustreuen, für wen das Leben nicht so geil wäre, wenn Rechtsextreme ihre Ziele erreichen, lässt der Beitrag ungenutzt. Im Beitrag wird nie durch die Redaktion erklärt, was die Ziele der Jungen Tat konkret sind. Das darf sie selbst tun und ihre Propaganda verbreiten.
〰️Normalisierung von rechtsextremistischen Begriffen
Die Protagonist:innen werfen im SRF-Beitrag mit einschlägigen Begriffen regelrecht um sich: Ethnopluralismus, Bevölkerungsaustausch, Ersetzungsmigration, unkontrollierte Massenmigration, normale Medien oder Remigration. Remigration scheint dem Produktionsteam als einziges aufzufallen oder erklärbedürftig zu sein. Gleichzeitig hebt der Beitrag zu Recht hervor, dass die Normalisierung rechtsextremer Begriffe zentraler Teil der Strategie der «Jungen Tat» sei.
〰️Plötzlich ist die SVP auf Distanz
In einer kurzen Sequenz geht es darum, dass die «Junge Tat» sich als Wegbereiterin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht. Die Aufgabe der «Jungen Tat» sei es, der SVP den Weg für Diskursverschiebungen nach rechts zu ebnen. Die SVP nimmt dazu gegenüber SRF Stellung, dass man keinen Austausch oder eine Zusammenarbeit habe. Dass sich die SVP bis heute nicht gegen die rechtsextreme Gruppierung abgrenzt, sie teilweise auch bagatellisiert, auch das ist keine Erwähnung wert.
〰️Wie sich SRF auf Nachfrage positioniert
FLIMMER.MEDIA hat zu den erwähnten Punkten eine umfassende Anfrage an das Produktionsteam und SRF geschickt. Hier die vollständige Antwort der Medienstelle:
«Das Angebot ‹rec.› zeigt unterschiedliche Lebenswelten und Werthaltungen auf und möchte auch kontroverse Themen besprechen. Meinungs–, Perspektiven– und Themenvielfalt sind in der Berichterstattung von SRF zentral. Als öffentliches Medienhaus fördern wir den Diskurs über alle gesellschaftlich relevanten Sachverhalte, beleben die öffentliche Debatte und ermöglichen die freie Meinungsbildung. Unsere Berichterstattung folgt drei Grundsätzen: Sie ist sachgerecht, vielfältig und unabhängig.
Eine Kontextualisierung der ‹Jungen Tat› wird in dieser ‹rec.›–Reportage an diversen Stellen geleistet, nicht nur vom Reporter selbst, der das Erlebte immer wieder einordnet und kritisch hinterfragt, sondern auch von Extremismusexperte Daniel Glaus oder Strafrechtsprofessor Martino Mona. Extremismusexperte Daniel Glaus konstatiert, dass die ‹Junge Tat› rassistisches Gedankengut vertritt, und für Strafrechtsprofessor Martino Mona ist die ‹Junge Tat› eine Gruppierung, welche sich totalitäre Gesellschaftsstrukturen wünscht.
Auf jede ‹rec.›–Reportage folgt ein ‹Question & Answer›–Video, in dem die Machenden auf Kritik und Fragen des Publikums eingehen. Das Q&A zur Reportage über die Junge Tat wird am Montag, 31. März, veröffentlicht.»
Am Ende der rund 35–minütigen Sendung und «einem halben Jahr intensiver Beobachtung» behauptet Reporter Samuel Konrad, dass die «Junge Tat» ihre «düstere, völkische» Zukunftsvision «immerhin nach eigenen Angaben ohne Gewalt und mit demokratischen Mitteln» durchsetzen wolle.
〰️Die Neonazis freuts
Die «Junge Tat» pusht ihre Inhalte aktuell gezielt über die Reichweite, die sie durch die SRF-Sendung bekommt. Corchia zieht online ein euphorisches Fazit: «Richtig gut. Abgesehen von den üblichen Diffamierungen» und: «Dieses Mal haben wir die Doku als klar vorteilhaft eingestuft – da meiner Ansicht nach das SRF Jugendformat unglaublich Reichweite für uns schafft.»
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Unsere Quellen:
Gra.ch: Belasteter Bevölkerungsaustausch in Verschwörungserzählungen
Belltower.news: Italien: Neurechte Nachwuchs-Terroristen verhaftet
Parlament.ch: Wie gefährlich ist die "Junge Tat"?
Srf.ch: «Prügelevent» im Kanton Luzern - Kämpfe mit Schlägern aus Neonazikreisen – im Kirchgemeindehaus
Tagesanzeiger.ch: Die Eisenjugend aus Winterthur und ihr Traum von der Apokalypse
Srf.ch: Junge SVP und Rechtsextreme: Christoph Blocher relativiert
Nzz.ch: «Wer sich distanziert, verliert»: Der Streit in der Jungen SVP eskaliert
Bpb.ch: Ethnopluralismus | Rechtsextremismus
Sz.de: Sexualerziehung - Staatsanwaltschaft soll Kita-Flyer der AfD prüfen - Gesellschaft
Belltower.news: Nazis in Deutschland und der Schweiz: Jung, tatkräftig, revolutionär, vereint?
T-online.de: Hannover: AWO erneut wegen Kita-Körpererkundungsraum in der Kritik
Belltower.news: Lexikon: Globohomo (Code)
Profil.at: Menschenjäger: Wie eine Neonazi-Bande ihre Opfer in die Falle lockte
Stopptdierechten.at: Defend Austria, Division Wien und die „Hate Crimes“ – eine Einordnung
Bfs.admin.ch:ICD-11
ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Die diplomierte Journalistin (MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation, Luzern) und beschäftigt sich seit Jahren mit extremistischen Tendenzen und Milieus. Sie wurde 2022 als eine der besten 30 Schweizer Journalist:innen unter 30 ausgezeichnet. Im selben Jahr stand sie auf der Shortlist für die Auszeichnung «Newcomerin des Jahres». 2023 erreichte sie die Shortlist-Nomination als «Gesellschaftsjournalistin des Jahres». Vor FLIMMER.MEDIA arbeitete sie bei verschiedenen Publikationen in Basel.
heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.