Radikalisierung und Gegenradikalisierung
Islamist, V-Mann, Extremismusexperte, «Islamistenjäger» und all das vereint in einer Person: Irfan Peci.
Am 22. März organisiert die Schweizer Neonazigruppierung «Junge Tat» einen Vortrag von Irfan Peci unter dem Titel «Islamisierung im Brennpunkt». Der Lebensweg des ehemaligen Islamisten und gefallenen Extremismusexperten zeigt die Mechanismen von Radikalisierung und Gegenradikalisierung auf. Und er wirft die Frage auf, wie sehr es um Überzeugung geht - oder um den Rausch der Extreme. Doch von vorne.
Irfan Peci, heute 36, wächst in Deutschland auf, seine Eltern stammen aus Bosnien. Schon als Teenager radikalisiert er sich. Mit 17 leitet er eine islamistische Propaganda Plattform, ruft zum Dschihad auf. Mit 19 fliegt er auf.
Die deutsche Justiz greift durch, Peci landet im Gefängnis. Doch der Verfassungsschutz bietet ihm eine Alternative in Freiheit: Arbeiten für den Verfassungsschutz. Als V-Mann soll er die Szene ausspionieren.
Als V-Mann finanziert er den Terror, sagt er
Peci sagt zu – und kassiert. Doch was er mit dem Geld macht, wirft Fragen auf. Laut eigenen Angaben finanziert er damit den Terror, anstatt ihn zu bekämpfen.
Dann fliegt Peci wieder auf – diesmal als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft. Das bedeutet das Ende seiner Karriere als V-Mann. Nun präsentiert sich Peci als geläuterter Aussteiger. Er schreibt Bücher, wird zum Medienliebling und Extremismusexperten. Unter anderem wird er Teil des Expertenkreises gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg.
Alles sieht nach einer Erfolgsgeschichte aus. Doch Peci fliegt zum dritten Mal auf.
Von der Talkshow zum Fackelmarsch
Im Oktober 2019 berichtet der «Spiegel»: Peci hetzt in privaten Chats gegen Minderheiten. Der Skandal kostet ihn seinen Expertenstatus, auch im Expertenkreis gegen Antisemitismus in Baden-Württenberg.
Keine vier Monate später startet Peci erneut durch – auf Telegram. 30’000 Menschen folgen heute seinem Kanal «Islamistenjäger». Er tritt als Redner bei FPÖ, AfD und Pegida auf. Er ist auch bei einem Fackelmarsch und Demonstrationen der rechtsextremen «Identitären Bewegung» dabei.
In Deutschland ist Peci aktiv bei der «Bürgerbewegung Pax Europa», einer Organisation, die vom Verfassungsschutz als «verfassungsschutzrelevant islamfeindlich» eingestuft wird.
Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger polarisiert und provoziert mit Aussagen wie: Der Koran sei schlimmer als Hitlers «Mein Kampf». Muslim:innen stellt er immer wieder unter terroristischen Generalverdacht. Er selber setzt sich und «Pax Europa» mit der «weissen Rose» gleich – einer antifaschistischen Widerstandsbewegung gegen Hitler.
Der Mechanismus ist bekannt: Die Provokation soll Reaktionen hervorrufen, die dann als Beweis für die eigene These herhalten. Ein in sich geschlossenes System aus Hass und Eskalation. Mehrfach wird Stürzenberger bei Kundgebungen körperlich angegriffen.
Ein tödlicher Angriff und die Instrumentalisierung
In Mannheim findet am 31. Mai 2024 eine Kundgebung zur «Aufklärung über den politischen Islam» statt. Die «Bürgerbewegung Pax Europa» ist mit einem Informationsstand präsent, bei dem sich Stürzenberger befindet. Ein Islamist greift Stürzenberger mit einem Messer an. Stürzenberger wird verletzt, ebenso fünf weitere Personen. Darunter Polizist Rouven Laur, der lebensgefährlich verletzt wird und zwei Tage später im Krankenhaus stirbt.
Als Lauers Angehörige nach dem Anschlag seine Wohnung betreten, liegt auf seinem Tisch ein Arabischlernbuch, erzählen sie. Ein guter Freund von Laur sagt in einer SWR-Doku: «Rouven hätte das, was wir jetzt erleben, dieses Draufschlagen, diesen Generalverdacht gegen jeden Moslem nicht gewollt. Dafür hat er sich als Polizist nie eingesetzt. Er wollte immer integrieren, er wollte nicht spalten.»
Noch vor der offiziellen Trauerfeier zum Gedenken an Rouven Laur mobilisiert die «Junge Alternative» zu einer Mahnwache. Rechtsextreme aus dem gesamten Bundesgebiet reisen an. Auch Mitglieder der «Jungen Tat» nehmen teil. Gemäss dem «Dokunetzwerk Rhein Main» gab es an der sogenannten Mahnwache mehrere rassistische Redebeiträge und die Veranstaltung habe eher den Charakter einer politischen Kundgebung gehabt. Und mittendrin: Peci.
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Unsere Quellen
Br.de: Lebenslinien - Irfan Peci, vom Dschihadisten zum V-Mann: Zurück vom Terror
Spiegel.de: Verfassungsschutz soll Straftat von V-Mann vertuscht haben
Derstandard.at: Sellner und Ex-Al-Kaida-Mann planen islamfeindliche Kundgebungen in Wien
endstation-rechts.de: Michael Stürzenberger droht der Rauswurf
Zdf.de: Wer ist der Islamkritiker Stürzenberger?
Dokunetzwerk.org: »Mahnwache« der Jungen Alternative in Mannheim Youtube.com: SWR Doku: Wie gehen Polizisten und die Familie mit der Tat um? Die Messerattacke von Mannheim
heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.
ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Die diplomierte Journalistin (MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation, Luzern) und beschäftigt sich seit Jahren mit extremistischen Tendenzen und Milieus. Sie wurde 2022 als eine der besten 30 Schweizer Journalist:innen unter 30 ausgezeichnet. Im selben Jahr stand sie auf der Shortlist für die Auszeichnung «Newcomerin des Jahres». 2023 erreichte sie die Shortlist-Nomination als «Gesellschaftsjournalistin des Jahres». Vor FLIMMER.MEDIA arbeitete sie bei verschiedenen Publikationen in Basel.