Grossoffensive gegen digitale Gewalt

Jahrelang mussten Veronika und Sebastian Bohrn Mena Morddrohungen und Hetze ertragen. Nun holen zum Gegenschlag aus. Mit hunderten Klagen zeigen sie den Täter:innen im Netz, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist.

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Drohungen, Doxing, Gewaltfantasien: Gegen diese und unzählige weitere Online-Kommentare geht das Ehepaar Bohrn Mena rechtlich vor. (Bild: Screenshots Facebook / Veronika Bohrn Mena)

Wer im Internet Hasskommentare schreibt, verlässt sich meist auf eines: die Anonymität. Das Gefühl, aus dem Schutz der eigenen vier Wände heraus folgenlos agieren zu können. Für Herrn W. platzte diese Illusion im Sommer 2025. Zuerst postete er noch eine Gewaltandrohung: «Politische Debatten mit Sebastian Bohrn Mena würde ich mit einem Schlag ins Gesicht beenden.» Kurz darauf fand er Post von einem Anwalt in seinem Briefkasten.

Plötzlich hatte sein Hass einen Namen, eine Adresse und ein Aktenzeichen – und die Reue folgte prompt: «Ich habe mich beim Lesen der Screenshots in der Anklageschrift geschämt – auch über mich selber!», schreibt W. im August auf seinem Facebook-Profil.

W. ist einer von über 200 Personen in Österreich, die derzeit von Veronika und Sebastian Bohrn Mena juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Nach Jahren, in denen sie zur Zielscheibe von Doxing, Drohungen und sexualisierter Gewaltfantasien wurden, dreht das Ehepaar den Spiess um – in einem beispiellosen juristischen Kraftakt.

Dass Herr W. ausgerechnet Sebastian Bohrn Mena gegenüber solche Fantasien hegt, ist wohl kein Zufall. Bereits Jahre zuvor sind W. und seine Partnerin, eine aktive Politikerin der extrem-rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene, auffällig geworden. So waren sie bei Aufmärschen der «Identitären Bewegung» mit dabei, verharmlosten im Netz den Holocaust oder verbreiteten Schriften von neonazistischen Plattformen.

Tödliche Folgen

Die Bohrn Menas sprechen nicht von «Hass im Netz», sondern von «digitaler Gewalt». Eine Form der Gewalt, die tödliche Folgen haben kann, wie der Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zeigt. Monatelang wurde sie im Netz von Impfgegnerinnen und Verschwörungstheoretikern verfolgt und mit dem Tod bedroht. Ihren Personenschutz musste sie selbst finanzieren – die Behörden nahmen sie nicht ernst. Im Gegenteil: Ein Sprecher der oberösterreichischen Landespolizei meinte etwa, sie würde sich «in die Öffentlichkeit drängen, um ihr Fortkommen zu fördern». Lisa-Maria Kellermayr beging am 22. Juli in ihrer Arztpraxis Suizid.

Drohungen wie jene, die Kellermayr erhalten hat, kennen Veronika und Sebastian Bohrn Mena nur zu gut. Schon seit Jahren sind sie damit konfrontiert, und auch sie mussten wiederholt Polizeischutz in Anspruch nehmen. Im Jahr 2020 rieten die Behörden dem Ehepaar, ihren drei Jahre alten Sohn «aufs Land zu schicken». Die Lage in Wien, wo sie damals lebten, sei nicht sicher. Später wurden sie von Beamt:innen des Staatsschutzes begleitet, wenn sie mit ihrem Sohn den Spielplatz besuchten.

Diese Erfahrungen führten letztlich dazu, dass die Familie Bohrn Mena aufs Land zog. In eine Umgebung, in der sie auch aufgrund der sozialen Kontrolle durch eine wachsame Nachbarschaft zumindest die physische Gewalt nicht mehr fürchten müssen. Die Bedrohungslage im Internet ist geblieben und hat über die Jahre sogar noch zugenommen. Insbesondere Veronika Bohrn Mena ist immer wieder mit der Androhung sexualisierter Gewalt konfrontiert. Woher kommt dieser Hass?

Über 200 Klagen – auch gegen Spitzenpolitiker:innen

«Mein Mann und ich stehen in der Öffentlichkeit, wir sind publizistisch tätig und kommentieren regelmässig in Zeitungsbeiträgen und Fernsehformaten die Tagespolitik», sagt Veronika Bohrn Mena. «Wir sind zwar parteipolitisch unabhängig, aber propagieren eine offene, solidarische und vielfältige Gesellschaft. Mein Mann hat sichtbare familiäre Migrationsgeschichte und wir sprechen die Gefahren des Rechtsextremismus an. Manche haben uns daher als Projektionsfläche auserkoren, an der sie sich im Netz abarbeiten.» Jahrelang hätten sie das ertragen, hätten immer wieder die Thematik der digitalen Gewalt in den öffentlichen Diskurs eingebracht. Geholfen hat alles nichts.

Hinter dem juristischen Gegenangriff steht ein ganzes Team: Das finanzielle Risiko trägt eine anonyme Privatperson, ein Tiroler Fachanwalt übernimmt die juristische Arbeit, während vier weitere Personen strafrechtlich relevante Kommentare sichern und die Täter ausforschen.

«Ohne diese Konstellation wäre es uns unmöglich, uns gegen die digitale Gewalt zu wehren. Weder hätten wir die Mittel, um die Gerichtskosten zu finanzieren, noch hätten wir das Know-How, um die Täter auszuforschen. Und man braucht einen Rechtsanwalt, der nicht nur das Fachwissen hat, sondern auch die nötige persönliche Motivation mitbringt, um sich in hunderten Fällen dieser Gewalt zu widmen», so Sebastian Bohrn Mena.

Die Klagewelle hat bereits über 200 Personen erfasst und sorgt für enormes mediales Echo. Letzteres liegt daran, dass sich die rechtlichen Schrtitte nicht nur gegen die einzelnen Verfasser der Hasskommentare richten, sondern auch direkt gegen hochrangige FPÖ-Politiker und deren Parteien als Betreiber von Facebook-Seiten – darunter der amtierende Landeshauptmann der Steiermark, Mario Kunasek, und der Chef der Wiener FPÖ, Dominik Nepp.

Der Vorwurf: Auf offiziellen, von der Partei betriebenen Facebook-Profilen standen teils über Jahre hinweg strafbare Äusserungen von Dritten gegen das Ehepaar, ohne gelöscht zu werden. Als Medieninhaber sind die Politiker bzw. deren Parteien rechtlich verpflichtet, solche Inhalte zu entfernen. Die Gerichte gaben den Bohr-Menas in ersten Schritten bereits recht und ordneten an, dass auf den betroffenen Seiten über die anhängigen medienrechtlichen Verfahren informiert werden muss. Eine Anfrage von Flimmer.Media liessen Mario Kunasek und Dominik Nepp unbeantwortet.

Doch wer sind die Menschen, die Drohungen und Gewaltfantasien im Netz verbreiten? «Unter den rund 200 Personen, die bislang ausgeforscht und von uns geklagt wurden, finden sich nicht nur auffällig viele Funktionäre der FPÖ, sondern auch viele ökonomisch sehr gut gestellte Personen», sagt Veronika Bohrn Mena. «Wir haben Anwälte, Architekten und Hobby-Piloten, die im Netz ihrem Hass auf uns freien Lauf lassen. Auf der Strasse geben sie sich vermutlich bieder und pochen auf die Einhaltung der Gesetze, im Internet aber mutieren sie zu Gewalttätern. Diesen Widerspruch wollen wir aufzeigen.»

Das Geschäftsmodell Hass

Das Ehepaar Bohrn Mena scheut die Konfrontation mit Spitzenpolitiker:innen nicht. Die daraus resultierende Aufmerksamkeit hat immerhin dazu geführt, dass die Anzahl der Hasspostings gegen sie sichtbar abgenommen hat – doch sie hat auch eine geradezu orchestriert wirkende Kampagne von medialen Akteuren der rechtsextremen Szene ausgelöst. Regionale Fernsehsender, die Verschwörungsinhalte verbreiten und der FPÖ nahestehende Medienportale, die Rechtsextremen wie Martin Sellner eine Bühne bieten, trommeln gegen das Ehepaar.

Es handle sich um «Klags-Terror», wird da verlautbart, gar das «Ende der Meinungsfreiheit» beschwört. Dem Ehepaar dürfe jedenfalls nun keine Bühne mehr geboten werden, so die Forderung. Eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Rechte, die sich sonst immer von einer vermeintlichen «Cancel Culture» verfolgt fühlt, nun den Ausschluss unliebsamer Stimmen aus dem Diskurs fordert. Und das, weil ein Ehepaar sich mit rechtlichen Mitteln gegen Hasskommentare wehrt?

«Natürlich sind die Klagen nur ein Vorwand, um uns aus der Öffentlichkeit zu drängen», sagt Veronika Bohrn Mena. «Aber wir gefährden auch ihr Geschäftsmodell. Rechtsextreme leben von Spaltung, von Hass, und den Feindbildern, die sie kreieren – auch dank der Monetarisierung solcher Inhalte auf sozialen Netzwerken.»

Das ist mit ein Grund, wieso nicht nur die Verfasser der Kommentare vom Ehepaar geahndet werden, sondern auch jene, die diese liken oder teilen. Diese Interaktionen mit strafrechtlich relevanten Beiträgen bedienen den Algorithmus und pushen deren Reichweite.

Ziel: Gesetzesänderung

Noch sei nicht absehbar, um wie viele Personen und Klagen es sich am Ende handeln werde, sagt Veronika Bohrn Mena. «Die Zahl könnte aber 1000 übersteigen.» Wobei es nicht immer zu einer gerichtlichen Verurteilung und damit zur Vorstrafe kommen müsse. man sei auch bereit sich in bestimmten Fällen aussergerichtlich zu einigen: «Die Person muss umfassend geständig und reuig sein, sie muss die Kosten übernehmen und sie muss eine Entschädigung zahlen», fordert Sebastian Bohrn Mena. Der Grossteil des Geldes fliesse an den Anwalt, das Team dahinter und den Prozessfinanzierer, der das ökonomische Risiko trägt.

«Es benötigt eine Summe im höheren sechsstelligen Bereich, allein um die Sicherung der Taten, die Ausforschung der Täter und die Einbringung der Klagen bei mehreren hundert Fällen umzusetzen», so Sebastian Bohrn Mena. «Wer kann sich das leisten? Unser Ziel ist es nicht nur, die Täter vor Gericht zu bringen und damit die digitale Gewalt gegen uns zu stoppen. Wir wollen auch, dass die Politik animiert wird, die Gesetze zu ändern. Es sollte nicht vom Kontostand abhängen, ob man die Einhaltung seiner Rechte durchsetzen kann oder nicht.»

Die ersten Gerichtsverhandlungen sind im September angesetzt. Wenn nötig, wollen die Bohrn Menas  den steinigen Weg durch alle Instanzen gehen. «Wir sehen keine Alternative. Wir müssen diese Gewalt beenden, auch im Sinne unserer Kinder.». Ihr Erfolg könnte ein Präzedenzfall sein, der dazu führt,  dass auch andere Menschen sich gegen Hasskommentare wehren. Und vielleicht den Hass aus den sozialen Netzwerken vertreiben – oder zumindest eindämmen.

Quellen:

heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.

Tim Haag hat am MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation in Luzern Journalismus studiert. Er arbeitete unter anderem bei SRF «Kassensturz» und als Politikredaktor der p.s.-Zeitung. Heute schreibt er für FLIMMER.MEDIA über politische, religiöse und gesellschaftliche Strömungen, die die Demokratie gefährden.

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