Es ist Oktober in der Schweiz
Wo kippt legitimer Protest in Hetze? Eine «Aktionswoche» in der Schweiz überschreitet die Grenze zur antisemitischen Bedrohung, indem sie mit Hamas-Symbolik und der Glorifizierung von Terror ein diffuses Feindbild des «Zionisten» zur Zielscheibe macht.
«Wir sind der Albtraum der Zionisten und ihrer Anhänger», steht in grossen Lettern auf einem Social-Media-Aufruf zur «Aktionswoche» in der Schweiz. In einem weiteren Slide prangt ein rotes Dreieck – jenes Symbol, das in Propagandavideos der Hamas über Gebäuden erscheint, unmittelbar bevor an derselben Stelle eine Explosion oder ein Abschuss zu sehen ist.
In den Aufrufen heisst es weiter: «Wir kennen unseren Feind.»
Das rote Dreieck ist in der Bildsprache der Hamas eine Zielmarkierung. Es kündigt Gewalt an. Dass dieses Dreieck historisch auch in nationalsozialistischen Konzentrationslagern zur Kennzeichnung von Gefangenen diente – politische Häftlinge trugen es auf ihrer Kleidung –, ist in Europa kollektives Wissen. Ob die Hamas diese historische Konnotation bewusst aufgreift, lässt sich nicht abschliessend klären. Die Wirkung aber bleibt: Das Dreieck ist eine Todesmarkierung – damals der Nazis, heute der Hamas.
Im aktuellen Posting trägt das Dreieck die Aufschrift: «Die Zeit der passiven Trauer ist vorbei. Die Zeit wütender Aktionen ist jetzt.»
Von der Symbolik zur Aktion
Die Kampagne, die vom 4. bis 11. Oktober läuft, wird von verschiedenen Kollektiven getragen. Unterstützer:innen können sogenannte «Aktionen» einreichen, die anschliessend auf Social Media veröffentlicht werden. Unter den Einsendungen finden sich Parolen wie «Death to Zionism» oder «Glory to the 7.10» an Hauswänden – eine Glorifizierung des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023, bei dem über 1200 Menschen ermordet und vergewaltigt wurden.
Am 8. Oktober fand in Basel bereits eine Demonstration statt, bei der Hamas-Symbole und Gewaltparolen gezeigt wurden; die Abschlusskundgebung ist für den 11. Oktober in Bern angekündigt. Zu diesem Anlass reisen Aktivist:innen aus der ganzen Schweiz an, teilweise in Bussen aus Lausanne und Basel. Auf Social Media warnen die Organisator:innen migrantische Teilnehmende und klären sie darüber auf, welche Folgen eine Teilnahme für ihren Aufenthaltsstatus haben könnte. Die Polizei zieht ihrerseits aus Sicherheitsgründen Unterstützung aus anderen Kantonen hinzu.
Im Hintergrund der Onlineaufrufe zur Aktionswoche läuft ein arabischsprachiges Lied mit dem Titel «I will rise to you, my Enemy». Darin heisst es: «Mit unseren Granaten, mit unseren Messern, mit meinen Waffen, mit meinem Glauben werde ich mich erheben. Dieser Kampf ist ein Strassenkampf.»
Hamas-Dreieck, Gewalttext und Musik verbinden sich hier zu einem Aufruf zur Aggression – doch gegen wen richtet sie sich?
Protest vs. Bedrohung
Solidarisierungsbekundungen mit der Palästinensischen Bevölkerung sind legitim - und die palästinasolidarische Bewegung pauschal unter Generalverdacht zu stellen, wäre falsch und gefährlich. Doch es ist wichtig, jene Elemente zu beleuchten, die über legitimen Protest hinausgehen. Die Verwendung von Hamas-Symbolik, die Glorifizierung von Terrorakten und die Verbreitung diffuser Feindbilder gefährden nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt – sie diskreditieren auch jene, die sich ernsthaft und gewaltfrei für die Rechte der palästinensischen Bevölkerung einsetzen. Wer schweigt, wenn antisemitische Codes und Gewaltaufrufe in die Solidaritätsbewegung Einzug halten, schadet der Sache, für die er einzustehen glaubt.
Wer sind die «Zionisten»?
«Gegen Zionisten und ihre Unterstützer», ist im Aufruf zu lesen. Was oder wer allerdings ein «Zionist» sein soll – und wer ein «Unterstützer» –, bleibt vage.
Einige Ziele sind unterdessen klar: Elbit, AXA, Starbucks und UBS gelten als «Genozid-Unterstützer» und bekommen das immer wieder zu spüren – in Form von Farbbeuteln oder zerbrochenen Scheiben. Doch auch Medienhäuser, kleine Kunstgalerien oder Einzelpersonen werden als Feinde markiert.
Wer Freund und wer Feind ist, bleibt unklar. Obwohl diese Szene in ihrer Propaganda proklamiert, «der Feind sei klar zu benennen», bleibt dieser am Ende diffus. Das diffuse Feindbild schafft ein Klima der Unsicherheit, in dem potentiell jede Person zum Ziel werden kann. In der Praxis und den Kommentarspalten zeigt sich: Als «Zionist» gilt im Zweifelsfall jeder, der nicht das gleiche Weltbild teilt.
Wenig verwunderlich, dass diese Unklarheit nicht nur in jüdischen Kreisen zu grosser Verunsicherung führt. Immerhin sind Todesdrohungen ernst zu nehmen. Der deutsche Verfassungsschutz warnte am 7. Oktober, dass für jüdisches Leben eine erhebliche Gefahr bestehe – obwohl viele der Betroffenen keine Zionist:innen im eigentlichen Sinne sind.
So verschwimmt die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus.
Eine neue Qualität der Bedrohung
Und eine weitere Grenze verschwimmt: Politische Proteste, auch radikale, waren in der Schweiz historisch mit Sachbeschädigung verbunden – Farbbeutel, kaputte Fenster. Die aktuelle Bedrohung erreicht jedoch eine andere Qualität: Sie zielt gezielt auf die Einschüchterung einer Minderheit.
Während in Gaza Kinder und Männer singen, dass sie «nach Jahren der Angst und Zerstörung» erstmals Hoffnung auf Frieden verspüren, und während in Israel Menschen Tränen der Erleichterung zeigen, weil Geiseln vielleicht bald zurückkehren, geht das Säbelrasseln in der Schweiz weiter.
heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.