Der Feuergott strahlt ins Klassenzimmer

Privatschulen sind auch für den Staat – trotz seiner Aufsichtspflicht – oft eine Blackbox. Die Grenzen zu problematischen Strukturen können verwischen, wie das Beispiel der «Schule Zürisee» zeigt.

Unbenanntes Projekt
Im Konzept der Schule heisst es, viele Kinder hätten Zugang zu Naturwesen. Illustration: Basil Gallati

Ganzheitliches Lernen mit Körper, Geist und Seele. Verbundenheit mit der Natur. Gemeinschaft und Rituale. Mittagessen gibt es an der Schule, die älteren Schüler:innen kochen, jüngere füttern Hamster und Hühner. Es gibt einen Gemüsegarten, Sitzkissen und ab und an übernachten die Kinder, die hier Kindergarten bis Sekundarschule absolvieren, auch vor Ort.

Es wird gemeinsam am Feuer gesessen und in die Sterne geschaut. Gemäss Selbstbeschrieb setzt die «Schule Zürisee auf Harmonie und Entschleunigung – eine Schule fürs Leben, inspiriert von «Menschen, welche sich für die Würde und die Potenzialentfaltung einsetzen», wie es auf der Website heisst. Zum Beispiel der Dalai Lama oder Frank Eickermann. Frank wer?

Der Lichtgott aus Bonn

Frank Eickermann oder Agni, wie er von seinen Anhänger:innen genannt wird, ist ein graubärtiger Endsechziger mit schleppender Stimme. Wer auf Eickermanns YouTube-Kanal «Agnilight» seine aus leichter Froschperspektive gefilmten Prognosen für das Jahr 2025 anhört («Viele Dinge, die wir lange wertgeschätzt haben […], werden aufbrechen […], um Platz für neue Schöpfungsstrukturen zu bilden»), vermutet kaum, dass er die Reinkarnation des vedischen Feuergottes Agni vor sich hat.

Seine Anhänger:innen sind sich aber sicher: Frank Eickermann ist etwas ganz Besonderes. Als ein «Wesen wie den heiligen Geist» beschreiben sie ihn in anderen Videos auf dem Kanal, als einen «Lichtpunkt» oder «zeitlosen Guru», einen der «die Welten neu sortiert» und «aus der Dunkelheit zum Licht führt».

Einige der Videos wurden im «Chateau Amritabha», einem prunkvollen Herrenhaus in den Vogesen gefilmt. Das «Chateau Amritabha» ist das Zentrum von Eickermanns Esoterikbewegung. Hier lösen sich die Anhänger:innen Agnis von irdischem Ballast und legen ihr wahres, spirituelles Selbst frei. Gelingen soll  das durch ein Potpourri aus esoterischen Methoden wie der fernöstlichen Chakrenlehre, ausserwissenschaftlichen Ansätzen wie der «Neurolinguistischen Programmierung» und schamanischer Praxis, gewürzt mit der Verehrung Jesu als personifizierte Liebe.

Kern von Eickermanns Lehre ist der «Weg ins Licht». Julia Sulzmann, stellvertretende Leiterin von Relinfo, der kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauungen, beschreibt den Kurs als «vielfältigen Mix von Meditation, Selbstfindung und Ritualen, oft an neu interpretierten schamanischen Praktiken orientiert».

Streng genommen, so Sulzmann, scheine es bei der Selbstfindung nicht um das Selbst zu gehen: «Es ist nie wirklich nur die eigene Perspektive, sondern es ist immer auch diejenige von Eickermann, die einen prägen soll.»

Ein Blick in Eickermanns Glaubensschrift, «Leben im Feuer»: «Der Lehrer ist der Eingeweihte, der das Göttliche Wissen trägt», heisst es da etwa. Die Schüler:innen würden kein «ich will» kennen, denn: Er als Lehrer verkörpere «die Allmacht Gottes». Mehrfach der Aufruf, «alle Menschen und alle Bindungen» hinter sich zu lassen, um dem göttlichen Plan zu folgen.

Kritikverbot als Red Flag

«Was Eickermann vermittelt, ist ein Guru-Weltbild, in dem er als unfehlbarer Lehrer gilt und man alles machen muss, was er sagt. Das ist aus unserer Sicht heikel – vor allem, weil Kritik nicht toleriert wird», sagt Julia Sulzmann. Dieses Kritikverbot sei eines der wichtigsten Merkmale problematischer Gruppierungen. 

Ein:e Schüler:in Eickermanns zu sein, sei «anspruchsvoll», weiss Georg Otto Schmid, ebenfalls von Relinfo. Als Richtwert für Bewegungen dieser Art gelte, dass etwa 80 Prozent der Interessierten wieder ausscheiden. Auch darum sei die Bewegung in der Schweiz überschaubar. Schmid spricht von «schätzungsweise ein paar dutzend bis ein paar hundert» aktiven Anhänger:innen von Agni.

Am «Kraftort Schule» sei nichts spirituell 

Auch Aruna Brunner (Name durch die Redaktion geändert) und Muran Müller, die die Schule Zürisee gegründet haben und leiten, haben ihre bürgerlichen Namen abgelegt. Im kantonalen Privatschulregister Zürichs legen sie ihre Verbindungen offen: «Frank Eickermann, ‹Der Weg ins Licht› und weitere, teilweise schamanische Vereinigungen.» 

In diesem Register müssen gemäss Volksschulamt «die ideellen Verbindungen sowie die religiöse, weltanschauliche und pädagogische Ausrichtung» von Privatschulen deklariert werden. Anders als andere Kantone ist der Kanton Zürich betreffend religiösen und weltanschaulichen Einflüssen sehr liberal. 

Muran Müller, der 2023 für die Post-Corona-Partei «Aufrecht» Zürcher Kantonsrat werden wollte, ist im Expertenrat des «Bildungsforum Schweiz», das sich vorrangig für den Ausbau von alternativen Schulen sowie Homeschooling engagiert und bei dem zahlreiche Fäden aus der Post-Corona-Szene zusammenlaufen. 

Dieses Engagement zeigt sich auch in verschiedenen Auftritten von Brunner und Müller. 2023 hielten sie zum Beispiel einen Vortrag über das Thema «Kraftort Schule» beim «Bildungskongress» der Post-Corona-Bewegung Graswurzle.

Auf Anfrage dementiert Muran Müller, dass die Schule Zürisee eine spirituelle Schule sei. «Bei Anstellungen interessiert uns die fachliche Qualifikation und nicht ein religiöser Glaube», sagt er. «Unser Team repräsentiert mehrere verschiedene Glaubensrichtungen.» Mit diesem «nachweislich heterogenen Hintergrund» eine spirituelle Schule zu sein, sei «schlicht unmöglich».

Engel als Heilquelle für Kinder

Das Team mag heute heterogen aufgestellt sein, bis vor kurzem traf diese Aussage aber nicht zu: Zwischen Herbst 2022 und Sommer 2024 gehörten drei von fünf Personen, die gemäss Selbstauskunft der Schule dort arbeiteten, der Lichtzentren-Bewegung an. Die Anhänger:innen des Feuergottes unterrichteten in dieser Zeit alle Fächer ausser Französisch und Musik.

Im Konzept, das die Schule 2015 beim Volksschulamt einreichte und das dieser Redaktion vorliegt, ist zu lesen, dass «viele Kinder» einen «Zugang zu Naturwesen und/oder Engeln» hätten. Und weiter: «Können sie diesen Kanal lebendig und offen halten, so erhalten sie dadurch eine wichtige Heilquelle für ihr Wohlbefinden.»

Auch das, so Muran Müller, sei bloss «Teil des persönlichen Weltbilds» von Angestellten und Schüler:innen. Die «Naturwesen» treten aber offenbar auch in der Schule in Erscheinung, zum Beispiel in Form von esoterischen Tierkarten, bei einem Morgenritual.

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Schulreise in die Vogesen

Auch die Verbindungen zu Eickermann «haben keinen Einfluss auf den Schulalltag», sagt Muran Müller auf Anfrage. «Unsere persönlichen weltanschaulichen Hintergründe sind privater Natur.» Es gibt allerdings einige Hinweise, die dafür sprechen, dass Feuergott Agnis Lehre doch bis ins Schulgeschehen strahlt. 

Das Feuer scheint eine wichtige Rolle bei Schulaktivitäten zu spielen. Und auf einer mittlerweile gelöschten Webpräsenz der Schule berichteten Schüler:innen 2022 von einer Schulreise zu den Vogesen.

Die Fotos im Bericht zeigen das Château de Saint-Ulrich und den Tour des Cigognes, die beide in der Gemeinde Ribeauvillé liegen. In Ribeauvillé  steht auch das «Chateau Amritabha» des reinkarnierten Feuergottes Agni aka Frank Eickermann. Vom Tour des Cigognes zum «Chateau Amritabha» sind es zu Fuss zwanzig Minuten, die Wanderung zur Ulrichsburg dauert eine gute Stunde. Gemäss Schüler:innenbericht war ein Thema der Reise  die  «Magie und Welt der (Edel-)Steine».

Workshop mit «Heilerin und Frau der Steine»

Um die «Magie der Steine» ging es an der  Schule Zürisee mehrfach. «Mutter oder Vater mit Kind» wurden 2023 eingeladen, um durch Edelsteine «Ruhe und Ausrichtung» zu «tanken». Die Kursleitung übernahmen  Co-Schulleiterin Aruna Brunner und eine «Meisterin» und «Mutter der Steine». 

Auf ihrer Website schreibt die «Mutter der Steine»: «Heute bin ich einfach nur glücklich, wenn Menschen sich in meinen Einzelsitzungen selbst näherkommen, ich sie zur/m Kristallheiler/in ausbilden und durch den Weg ins Licht […] führen darf.»

Die auf der Website angebotenen Kurse finden zu grossen Teilen im «Chateau Amritabha» statt – etwa das Seminar «Das Licht der Steine». Dieses Seminar wurde  mit demselben Foto beworben, wie der Workshop der «Mutter der Steine» für «Kids & Teens» an der Schule Zürisee im Jahr 2022. Auch auf der Facebookseite des «Chateau Amritabha» tritt die Frau regelmässig per Videobotschaft in Erscheinung. 

Eine Schulreise ins Eso-Schloss?  Muran Müller verneint auf Nachfrage: «Mit der Schule waren wir zu keiner Zeit im Chateau Amritabha.»

Die Eltern scheinen zufrieden

Eine Mutter, deren Kind die Schule Zürisee besucht und die im Rahmen dieser Recherche kontaktiert werden konnte, sagt, ihr sei eine Verbindung zur Lichtzentren-Bewegung nicht bekannt: «Von einer angeblichen Verbindung haben wir von Ihnen zum ersten Mal gehört», schreibt sie. Es seien ihr «keinerlei Anzeichen aufgefallen», die auf Verbindungen zur Lichtzentren-Bewegung hindeuten.

Die Mutter zeichnet ein positives Bild der Schule: «Wir konnten Ansätze von Steiner und Montessori erkennen, die Kinder wurden unserer Ansicht nach ganzheitlich, empathisch und ressourcenorientiert begleitet und es wurde sehr viel Zeit in der Natur verbracht.» Persönliche Anliegen seien stets aufgenommen worden und die Schulleitung habe pädagogisch fundierte Tipps und Hilfsmittel gegeben.

Auch auf den – mittlerweile gelöschten – Social-Media-Präsenzen der Schule Zürisee sind die Rückmeldungen durchwegs positiv. Und Muran Müller betont: «Es gibt zahlreiche Schülerinnen und Schüler, welche (wieder) Boden unter den Füssen bekommen haben, welche mit Freude in die Schule kommen, welche an gehassten Fächern wieder Gefallen finden, wo es auch zu Hause wieder entspannt ist, welche sich in allen Bereichen weiterentwickeln.»

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hat diesen Text parallel auch bei der «P.S. Zeitung» publiziert. Er arbeitet beim Kassensturz von SRF.

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