Hisbollah(sympathie) in der Schweiz
Die Sympathie für die Hisbollah wird in der Schweiz sichtbarer. Ein Fall aus Zürich zeigt exemplarisch, wie aus politischem Aktivismus offene Unterstützung für eine bewaffnete Organisation wird – und der Bewegung damit ein Bärendienst erwiesen wird.
Ein Wohnzimmer irgendwo im Nahen Osten, Sommer 2022. Beige Polstergruppe, Plastikblumen in der Ecke, ein Aschenbecher mit zerdrückten Filterzigaretten. Daneben eine Glock. Beat Sennhuser* (Name von der Redaktion geändert – Sennhusers echter Name ist allerdings ähnlich schweizerisch) erklärt: «9mm – handlich, kurze Zieldistanz.» In einem weiteren Video steht er in verstaubter Landschaft, der Wind verweht seine Worte: «Extra grosse Magazine haben wir mitgenommen. We will have fun.»
Zwei Jahre später posiert Sennhuser mit einer Hisbollah-Fahne auf Facebook. Und er schreibt: «Die Waffen der Hisbollah sind Symbole des Widerstands gegen Unrecht. Wir werden für unsere Rechte kämpfen.»
Dabei kandidierte Sennhuser 2019 noch für die PdA Zürich für den Kantonsrat. Seine politische Karriere fand aber durch einen Facebook-Post ein jähes Ende: Nachdem ein palästinensischer Attentäter im Westjordanland Soldaten und Zivilisten an einer Bushaltestelle erschossen hatte, kommentierte Sennhuser lobend: «Siebäsiech aka Rambo de Palestine.» Für die Partei war das untragbar.
Auf die Anfrage von FLIMMER.MEDIA zu diesen Posts und den Waffen-Videos reagiert Sennhuser zunächst mit einer Kampfansage. Auf Facebook veröffentlichte er einen Screenshot der Anfrage mit der Caption: «Dieses mal möchte ich zurückbeissen....» – garniert mit #Hezbollah, #AK47, #313, #Glock. Der Post wurde kurz darauf wieder gelöscht.
In seiner Stellungnahme an die Redaktion äussert sich Sennhuser deutlich gemässigter: Zu den Videos mit Waffen im Libanon sagt er: «Die gezeigten Bilder und Videos sind Ausdruck meiner politischen Ansichten [...]. Ich distanziere mich von jeglicher Befürwortung von Gewalt.» Seine Formulierung «Waffen sind Symbole des Widerstands» bedauere er, falls sie missverständlich gewirkt habe. Seine Intention sei gewesen, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen – «nicht, Gewalt zu verherrlichen.»
Zwischen allen Fronten
Sennhuser bewegt sich quer durch politische Lager. Er taucht auf an propalästinensischen Demonstrationen, 2022 gegen den Zionistenkongress in Basel. Aber auch bei Mass-Voll-Veranstaltungen in Bellinzona ist er zu sehen, wo er Arm in Arm mit dem Vorstand der Partei posiert – einer Partei, die der rechtsextremen Jungen Tat nahesteht. «Ich pflege Kontakte zu Personen aus verschiedenen politischen Spektren», erklärt Sennhuser dazu. Ein Foto bedeute nicht automatisch Zustimmung.
Als Generalsekretär eines «Schweiz-Korea-Komitees» posiert er ausserdem im Koreanischen Konsulat und drückt in den Sozialen Medien seine Freude darüber aus, dass Nordkoreanische Soldaten die Russische Armee unterstützen, die Region Kursk von der «ukrainischen, nazifaschistischen Invasion zu befreien». In einem Schreiben ans 1.-Mai-Komitee Zürich vom Mai 2023 beschwert er sich über einen verweigerten Stand: «Ich sehe in der Standverweigerung einfach eine der üblichen Abneigungen der hiesigen ‹Linken› gegen das sozialistische Korea und eine Diskriminierung.» Nordkorea sei «ein sozialistisches Beispiel für die Son-Gun-Politik. Souveränität über alles!», schreibt Sennhuser auf Anfrage. Zum Korea-Komitee selbst will er keine Auskünfte geben.
Der Widerspruch – Waffenvideos posten und gleichzeitig Gewalt ablehnen – ist offensichtlich. Doch er zeigt beispielhaft, wie die Grenzen zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik, antiimperialistischen Positionen und der offenen Unterstützung bewaffneter Organisationen verschwimmen können.
Die gelbe Flagge auf Schweizer Strassen
Die Hisbollah-Symbolik taucht zunehmend im öffentlichen Raum auf. Als Israel Ende September 2024 den Libanon bombardiert, versammeln sich am 25. September rund 100 Menschen auf dem Berner Bahnhofplatz zu einer Kundgebung «gegen zionistische Aggression». Unter ihnen: ein junger Mann, der die Hisbollah-Flagge um die Schultern trägt.
Ein Jahr später erreicht die humanitäre Katastrophe in Gaza im Oktober 2025 einen traurigen Höhepunkt, der am 11. Oktober rund 7000 Personen nach Bern treibt. Sie folgen unter anderem einem Aufruf mehrerer linker Gruppen auf Social Media. Dieser ist unterlegt mit einem Lied von Ali Barakat, der den Spitznamen «die Nachtigall der Hisbollah» trägt. Barakat ist bekannt für seine musikalischen Lobpreisungen auf das syrische Assad-Regime und die Hisbollah. 2014 wurde er im Libanon verhaftet, weil seine Songs die Beziehungen zu arabischen Ländern gefährdeten. 2021 bekannte Barakat öffentlich, er würde gerne Selbstmordattentäter für Hassan Nasrallahs Hisbollah werden.
Dass linke und antifaschistische Gruppierungen ausgerechnet mit Barakats Musik zur Demo aufrufen, ist befremdlich. Ebenso befremdlich, dass an dieser Demo neben legitimen Forderungen auch Rufe wie «Kill your local Zionist» zu hören und Hamas-Dreiecke zu sehen sind.
Terrororganisation, Partei, Miliz?
Um zu verstehen, warum die Hisbollah-Flagge auf Schweizer Demonstrationen problematisch ist, lohnt sich ein Blick auf die Geschichte der Organisation. 1982 marschierte Israel im Libanon ein – offiziell, um die linke PLO zu vertreiben, die vom Süden des Landes aus Angriffe auf Israel verübte. Die Invasion führte zur Belagerung Beiruts und zur erzwungenen Evakuierung der PLO nach Tunesien.
Im September 1982, kurz nach dem Abzug der PLO-Kämpfer, kam es zum Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Christliche Milizen ermordeten unter den Augen der israelischen Armee zwischen 700 und 3500 Zivilisten – mehrheitlich Palästinenser, aber auch libanesische Schiiten. Die Massaker schwächten linke palästinensische Organisationen wie die PFLP massiv.
In diesem Machtvakuum entstand die Hisbollah. Der Iran entsandte rund 1500 Revolutionsgardisten in die Bekaa-Ebene, um schiitische Milizen auszubilden. Aus verschiedenen radikalisierten Splittergruppen der Amal-Bewegung formierte sich die «Partei Gottes» – finanziert, bewaffnet und ideologisch gesteuert aus Teheran. Die offizielle Gründung fand 1985 statt.
Seither ist die Hisbollah beides: politische Partei und Miliz, Wohlfahrtsorganisation und Kriegsakteur, Regierungsfraktion und Untergrundarmee. Was sie nicht ist: emanzipatorisch oder progressiv.
Die Hisbollah ist verantwortlich für zahlreiche Terroranschläge. 1994 ermordete die Organisation beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA in Buenos Aires 85 Menschen. In den USA, Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden, Japan, Kanada, Argentinien und vielen weiteren Staaten gilt sie als Terrororganisation. Deutschland verbot 2020 jegliche Hisbollah-Aktivität – nicht mehr nur den «militärischen Arm», sondern die gesamte Organisation.
Rechtlicher Status
In der Schweiz ist die Hisbollah noch nicht verboten. Der Bundesrat wiegelt in seinem Bericht «Die Hisbollah und die Schweiz» von 2022 ab: Die Organisation sei hierzulande nur in sehr begrenztem Ausmass aktiv. Man gehe von einigen Dutzend Sympathisanten aus, verteilt auf etwa zwanzig kleine Vereine. Ein Verbot sei nicht notwendig. Es würde «wertvollen Beiträgen für die Friedensförderung in der Region ein Ende setzen» und «die Glaubwürdigkeit der Schweiz als neutrale Akteurin beeinträchtigen», argumentierte der Bundesrat.
Nach dem 7. Oktober 2023 wurde die Hamas in der Schweiz verboten. Ein Hisbollah-Verbot lehnte der Bundesrat jedoch weiterhin ab – trotz Forderungen der Sicherheitspolitischen Kommissionen. Justizminister Beat Jans argumentierte im Parlament mit den «Guten Diensten» und warnte: «Wenn die Schweiz nun dazu übergeht, solche Organisationen mit Spezialgesetzen zu verbieten, wird sich unweigerlich die Frage stellen, wo und wie man die Grenzen zieht.»
Steilvorlage für Kritiker
Jede Hisbollah-Fahne auf Schweizer Demonstrationen, jeder Aufruf, der mit Liedern eines Hisbollah-Propagandisten unterlegt ist, verschiebt die Debatte. Statt über das Leid der Zivilisten in Gaza zu reden, muss über Terror-Unterstützung gesprochen werden.
Das ist ein doppelter Bärendienst: für die palästinensische Sache und für den antifaschistischen Kampf insgesamt. Es macht es Kritikern von rechts leicht, berechtigte Wut über die humanitäre Krise, Völkerrechtsverletzungen und das Andauern des Krieges als extremistisch zu verklären.
Wer gegen rechte Strukturen kämpfen will, kann sich nicht gleichzeitig mit reaktionären, autoritären Organisationen wie der Hisbollah gemein machen.
Quellen
SRF: «Gefahr für Europa – Der lange Arm des iranischen Regimes»
AP News (Beleg Verhaftung Barakat): «Pro-Hezbollah singer detained in Lebanon over song»
heisst mit bürgerlichem Namen Anna Bursian. Sie ist Gründerin von FLIMMER.MEDIA. Lotta hat sich auch durch jahrelange investigative Recherchen eine umfassende Expertise zu demokratiefeindlichen Bewegungen und Strukturen aufgebaut. Vor FLIMMER.MEDIA publizierte sie in verschiedenen Medien in der Schweiz und Deutschland.