José Antonio Kast: Symbolfigur des transnationalen Rechtsextremismus

Der Sohn eines NSDAP-Mitglieds, der Bruder eines Pinochet-Ministers, der Bewunderer einer Diktatur: José Antonio Kast verkörpert die autoritäre Tradition Chiles wie kein anderer. Am 14. Dezember könnte er Präsident werden – und damit eine Rückkehr zu jenen «Ordnungs»-Vorstellungen einläuten, die Chile bereits einmal in den Abgrund führten.

José Antonio Kast an der CPAC 2024 in Ungarn
(Bild: Elekes Andor / Wikimedia Commons)

Am 14. Dezember entscheidet Chile über seine Zukunft. Bei der Präsidentschafts-Stichwahl gilt José Antonio Kast als haushoher Favorit. Der Rechtsextreme wird das Land entscheidend verändern, soviel steht fest. Der Mitte-Links-Kurs der letzten Jahre soll einer reaktionär-rechten Wende weichen, so wie es in anderen Ländern Lateinamerikas bereits erfolgt ist. Chile stehen damit bedeutsame Umbrüche bevor, doch bei der Wahl geht es um mehr.

Denn Kast ist längst nicht mehr nur ein rechtskonservativer Politiker aus Chile. Er ist bereits vor der erwarteten Übernahme der Präsidentschaft über die Grenzen des Landes hinweg zu einer Symbolfigur geworden. Seit Jahren schon fungiert er als ein weiterer lateinamerikanischer Knotenpunkt in einem globalen Netz von rechtsradikalen und rechtspopulistischen Bewegungen, die sich in den vergangenen Jahren professionalisiert, internationalisiert und politisch vernetzt haben.

Kast ist Teil jener neuen Rechten, die in den USA, in Lateinamerika und in Europa dasselbe Vokabular verwenden, dieselben Feindbilder pflegen und dieselben politischen Techniken anwenden. Sein Aufstieg ist weniger von seiner Persönlichkeit geprägt als von einer tektonischen politischen Verschiebung, die weltweit vorangetrieben wird. Es geht um die Verschmelzung diktatorischer Traditionen mit einem digitalen, transnational organisierten Rechtsextremismus.

Die Familie: Von Nazis, Chicago Boys und chilenischen Faschisten

Um Kast zu verstehen, muss man bei seiner Herkunft beginnen. Sein Vater, Michael Kast, kam mit gefälschten Dokumenten aus Bayern nach Chile – und war, wie im Dezember 2021 von der Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlichte Dokumente des Bundesarchivs zeigen, Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 9271831). Jahrzehntelang wies die Familie dies zurück. José Antonio Kast bestritt die Nazi-Vergangenheit seines Vaters noch 2018 vehement und bezeichnete entsprechende Vorwürfe als Verleumdung und politisch motivierten Angriff. Erst als die Faktenlage durch das deutsche Bundesarchiv eindeutig wurde, verstummten diese Dementis. Eine klare Distanzierung blieb aus.

Dass ein Politiker, der sich als Verteidiger vermeintlich «westlicher Werte» inszeniert, gleichzeitig historische Fakten über die NSDAP-Mitgliedschaft des eigenen Vaters öffentlich beschönigt, ist politisch aufschlussreich. Es zeigt ein Muster: die Tendenz, autoritäre oder extremistische Kontexte zu verharmlosen, solange sie in die eigene ideologische Erzählung passen. Dieses Muster setzt sich in der Figur seines Bruders Miguel Kast fort.

Miguel Kast gehörte zu den ökonomischen Architekten des Pinochet-Regimes – einer der Chicago Boys, der ultraneoliberalen Ökonomengruppe, die Chile radikal umformte. Als Planungsminister (1978–1980), Arbeitsminister (1980–1982) und Zentralbankpräsident (1982) agierte er innerhalb eines Regimes, das systematisch folterte, mordete und unterdrückte. José Antonio Kast spricht mit Stolz über den «Beitrag» seines Bruders und über die «Ordnung» der Pinochet-Ära. In einem Interview 2017 mit Tele13 Radio erklärte er, Pinochet habe «einen qualitativen Sprung» vollzogen, der es jemandem wie Sebastián Piñera erst ermöglicht habe, ein Programm zu entwickeln: «Wenn man das Thema Menschenrechte beiseitelässt, war Pinochets Regierung für die Entwicklung des Landes besser als die von Sebastián Piñera.» Auf die Frage, ob Pinochet ihn wählen würde, antwortete er: «Ich glaube schon, dass er mich wählen würde, wenn er noch lebte, ja, ich glaube schon.»

Damit bewegt sich Kast weit ausserhalb des demokratischen Konsenses Chiles. Er zeigt nicht nur Verständnis für ein diktatorisches Regime, er verherrlicht dessen Struktur als politisches Modell. Die Nähe zu Pinochet ist für Kast kein Makel, sie ist Teil seines politischen Selbstverständnisses.

Ich unterstütze Flimmer monatlich für CHF 0.-

Spam-Schutz

Jederzeit kündbar

Das ideologische Fundament

Diese autoritäre Grundhaltung prägt Kasts gesamte politische Karriere. Er versteht sich als Politiker, der den gesellschaftlichen Wandel rückgängig machen will – insbesondere dort, wo es um Frauenrechte, Geschlechterpolitik, Minderheitenrechte oder Migrationspolitik geht.

Seine Sprache ist geprägt von Alarmismus, moralischem Rigorismus und einer klaren Freund-Feind-Aufteilung. In seinen Wahlkämpfen mobilisiert er Ängste vor inneren Feinden, vor kultureller Dekadenz, vor unkontrollierter Migration. Jeder Konflikt wird zu einem Kampf um die Existenz der Nation stilisiert, jeder politische Gegner zur Bedrohung. Seine Rhetorik ist kulturkämpferisch und radikalisiert – weit entfernt von klassischem Konservatismus.

Besonders auffällig ist die Rolle der Migration in seiner politischen Rhetorik. Kast präsentiert Einwanderung – insbesondere jene aus Venezuela – als zentralen Motor der Kriminalität. Diese Gleichsetzung entspricht nicht den komplexen Realitäten sozialer Gewalt, aber sie ist eine bewährte Technik rechtsextremer Mobilisierung weltweit. Eine Minderheit wird zur Sündenbockgruppe erklärt, ihre Präsenz zum Exzeptionszustand hochgespielt, um daraus scheinbare politische Notwendigkeiten abzuleiten.

Das Muster findet sich bei Javier Milei in Argentinien, der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich, Matteo Salvini in Italien und bei VOX in Spanien. Es ist ein globaler Diskurs, der in variierenden nationalen Kontexten identisch funktioniert.

Lange vorbereitet: Das globale rechtsextreme Netzwerk

Diese Ähnlichkeiten sind kein Zufall. Kast ist eingebunden in ein weit verzweigtes internationales Netzwerk. Ein zentraler Baustein seiner internationalen Positionierung ist seine Rolle als Präsident des Political Network for Values (PNfV) von März 2022 bis Dezember 2024. Dieses Netzwerk ist eine Drehscheibe der weltweiten Anti-Gender-, Anti-LGBT- und Anti-Abtreibungsbewegungen. Auf seinen Treffen versammeln sich rechte Aktivisten, katholisch-ultrakonservative Organisationen, Think-Tanks, Politiker der extremen Rechten, evangelikale Lobbygruppen und strategische Kommunikationsberater.

Dort werden Narrative entwickelt, Kampagnen geplant und juristische Strategien abgestimmt, etwa Strategien zur Beeinflussung von Justizpositionen oder der Kampf gegen internationale Menschenrechtsabkommen. Kast stand an der Spitze dieses Netzwerkes. Damit ist dokumentiert, dass er ein aktiver Multiplikator jener radikalen Agenden ist, die gegen die Grundpfeiler liberaler Demokratien arbeiten.

VOX, die rechtsradikale spanische Partei, hat Kast früh als strategischen Partner entdeckt. VOX verfolgt offen das Ziel, ein globales rechtes Bündnis zu schaffen, das Europa und Lateinamerika verbinden soll. In ihrem Diskurs existiert eine Art «Iberosphäre», eine Gemeinschaft der Nationen, die sich gemeinsam gegen den «kulturellen Marxismus» verteidigen müssten. Über VOX und ihren Think Tank «Foro Madrid» sind auch andere einflussreiche Personen aus Lateinamerika, wie die Friedensnobelpreisträgerin 2025 und Trump-Verbündete María Corina Machado aus Venezuela, bereits gut vernetzt.

Kast ist Gründungsmitglied und Unterzeichner der «Carta de Madrid» (Oktober 2020), des Gründungsdokuments des Foro Madrid. Er war mehrfach bei Veranstaltungen von VOX präsent – sei es physisch oder in Form von Videobotschaften. Seit 2019 trifft er sich regelmässig mit VOX-Chef Santiago Abascal. Auf der Bühne solcher Events stehen Politiker, die offen Ressentiments gegen Migrant:innen, Muslim:innen oder feministische Bewegungen bedienen. Kast fügt sich nahtlos ein. Er ist Teil derselben politischen Grammatik.

Fokus Europa

Auch in Mitteleuropa bestehen ideologische Verbindungen. Zwar gibt es keine öffentlich belegten direkten Treffen zwischen Kast und der deutschen AfD, der österreichischen FPÖ oder der Schweizer SVP. Doch rechtsextreme Netzwerke funktionieren über ideologische Synchronisierung, über Beteiligung an denselben transnationalen Foren und über gemeinsame ideologische Bezugspunkte. Eine zentrale Rolle spielen dabei Verbindungspersonen wie Steve Bannon, der auf Einladung von Roger Köppel in der Schweiz war und von der AfD in den Bundestag eingeladen wurde.

Vertreter von AfD, FPÖ und SVP nehmen bzw. nahmen regelmässig an denselben internationalen Anti-Gender- oder Anti-Migrations-Konferenzen teil, die auch Kast oder seine engsten politischen Verbündeten besuchen. Hier seien etwa die CPAC-Konferenzen genannt, bei denen der ehemalige Schweizer SVP-Nationalrat Roger Köppel oder FPÖ-Obmann Herbert Kickl mitwirkten. Der Austausch findet nicht zwingend vor Kameras statt; er findet über Verbindungspersonen wie Steve Bannon, über gemeinsame Plattformen wie das Foro Madrid und die CPAC-Konferenzen statt, über internationale Stiftungen und NGOs, die alle dasselbe politische Ziel verfolgen. Die Gleichzeitigkeit ihrer Agenda deutet darauf hin, dass Kast und die europäischen Rechtsaussen-Parteien Teil ein und desselben Ökosystems sind, selbst wenn ihre Repräsentanten nicht gemeinsam vor Mikrofonen stehen.

Die ideologische Nähe zeigt sich auch in der Übernahme von Kampagnenmaterial. Der rechtsextreme chilenische Präsidentschaftskandidat Johannes Kaiser bediente sich 2023 an der SVP-Kampagne mit dem berühmt-berüchtigten «Schäfli»-Plakat. Dieses Sujet, das ein weisses Schaf zeigt, das ein schwarzes Schaf aus der Schweiz kickt, wurde 2007 von der SVP lanciert. Die Schweizer Werbeagentur Goal AG kündigte rechtliche Schritte wegen der Urheberrechtsverletzung an.

Was Kast von vielen anderen rechten Politikern unterscheidet, ist die historische Tiefe seiner politischen Identität. Während etwa Milei oder Bolsonaro als politische Aussenseiter ins Zentrum der Politik drangen, steht Kast in einer geradezu genealogischen Kontinuität autoritärer Systeme. Seine familiäre Verbindung zur Diktatur, sein ideologisches Bekenntnis zu «Ordnung» durch autoritäre Exekutive, seine Nähe zu Militärkreisen, sein positives Verhältnis zur Pinochet-Tradition, seine Verteidigung eines autoritären Staatsverständnisses – all das macht ihn zum ideologischen Kontinuitätsfaktor einer radikal rechten Tradition, die in Chile nie vollständig verschwunden ist.

Internationaler Angriff auf die Demokratie

Kasts Politik folgt einem klaren Muster rechter Radikalisierung: Zuerst werden gesellschaftliche Probleme dramatisiert, dann werden Feindbilder geschaffen, anschliessend wird die Demokratie als ineffektiv dargestellt und schliesslich wird eine autokratische Führung als Lösung präsentiert. Kast wendet diese Logik auf alle zentralen politischen Felder an. Bei der Migration spricht er von «Invasion»; bei der Sicherheit von einem «Krieg gegen das Verbrechen»; bei Genderpolitik von einer «Zerstörung der natürlichen Ordnung». Er behauptet, die traditionellen chilenischen Werte würden von einer «linken kulturellen Elite» systematisch unterminiert und verschäft damit bewusst die Spaltung im Land. Unterstützt wird diese Politik durch ein internationales Netzwerk aus konservativen Think-Tanks, religiösen Organisationen und strategischen Kommunikationsberater:innen, die global tätig sind.

Was Kast für Chile bedeutet

Für Chile ist Kast deshalb keine gewöhnliche politische Option. Er steht für eine umfassende Re-Politisierung autoritärer Werte, für die Wiederbelebung eines politischen Modells, das sich auf Hierarchie, Disziplin und Exklusion gründet. Seine Vision für Chile ist die eines Landes, das sich kulturell abschottet, politisch verhärtet und institutionell nach rechts kippt. Seine internationale Positionierung zeigt, dass solche Projekte nicht lokal entstehen. Sie sind Teil einer globalen Welle rechter Gegenbewegungen, die demokratische Errungenschaften rückgängig machen wollen.

Wenn Kast in Wahlkämpfen betont, er sei lediglich ein «Mann der Ordnung», dann ist dies eine Untertreibung, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Kern seiner politischen Philosophie zielt auf eine Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen durch repressive Kontrolle – weit entfernt von demokratischen Reformen. Seine Rhetorik ist demokratisch gekleidet, die Motivation bleibt autoritär.

Chiles Geschichte ist eng mit der Frage verbunden, wie leicht Demokratien kippen können. Die Erfahrung der Diktatur ist präsent. In diesem historischen Licht ist die politische Figur José Antonio Kast nicht bloss umstritten – sie ist eine Gefahr für die chilenische Demokratie. Sie steht für eine politische Regression, die weit über parteipolitische Grenzen hinausreicht. Wer Kast wählt, trifft damit nicht nur eine Entscheidung über Migrationspolitik oder Wirtschaftskonzepte. Er entscheidet, ob Chile Teil einer neuen internationalen Achse werden soll – einer Achse des illiberalen Rückbaus, der autoritären Sehnsüchte und des rechtsextremen Kulturkampfes.

Gerade deshalb ist es entscheidend, Kast und seine Netzwerke nicht isoliert zu betrachten. Er ist Produkt, Akteur und Verstärker einer weltweiten Bewegung. Sein Erfolg ist nie nur sein eigener. Er ist das Ergebnis einer vernetzten Zusammenarbeit rechter Ideolog:innen, digitaler Strateg:innen und transnationaler Netzwerke, die längst eine neue globale Ordnung anstreben – eine Ordnung, die auf Ausgrenzung, Autoritätsgehorsam und kultureller Homogenität basiert.

Die Entscheidung darüber, ob Kast diese Ordnung in Chile Wirklichkeit werden lassen kann, liegt bei den Wähler:innen. Doch sie sollten wissen, dass sie damit nicht nur über eine Person entscheiden, sondern über eine globale politische Zukunft, deren Folgen weit über die Grenzen des Landes hinausreichen würden.

Dr. Sebastian Bohrn Mena (40) ist österreichisch-chilenischer Publizist. Der in Wien geborene Nachkomme chilenischer Flüchtlinge promovierte zur transgenerationalen Übertragung extremer Traumatisierung am Beispiel der chilenischen Exil-Community. Nach Jahren in der Forschung, u.a. an der Sigmund Freud PrivatUniversität, sowie als Direktor einer Volkshochschule, gründete er gemeinsam mit seiner Frau Veronika im Jahr 2021 die gemeinnützige Stiftung COMÚN. Diese versteht sich selbst als „antifaschistisches Bollwerk“ und widmet sich aktiv der Demokratiestärkung. Bohrn Mena ist Autor & Herausgeber mehrerer Bücher und Publikationen, darunter „Konzerne an die Kette“, das von Jean Ziegler als „brillantes, mutiges Werk“ bezeichnet wurde. Aktuell widmet er sich intensiv dem Kampf gegen rechten Hass und digitale Gewalt. Mehr Infos dazu unter: https://steady.page/de/bohrnundmena

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare